Was Besseres als Sicherheit

Geld? Karriere? Glück? Was ist uns eigentlich wichtig im Leben? Und was vermitteln wir unseren Kindern? Das hat sich Theodor Ziemßen auf der Spiegel Online Elterncouch gefragt – und gemerkt: Wir müssen dringend mehr Quatsch machen. Und bei Little Green House finden wir: er hat ja so Recht.

Der Artikel von Theodor Ziemßen ist am 30. Oktober auf spiegel online erschienen.

Neulich habe ich mich erschrocken. Nach dem jährlichen Elterngespräch in der Kita sagte Therese: « Und am Ende hat Carola noch gesagt, dass Benjamin dann ja nächstes Jahr in die Schule kann. »

Der Satz ließ eine ganze Lawine von Schlagwörtern durch meinen Kopf poltern, deren Geister mich noch aus meiner eigenen Schulzeit verfolgen: Noten, Klassenarbeiten, Stillsitzen, Frontalunterricht, Konkurrenz, Zeugnisse.

Klar. Bei einem Fünfjährigen kann man durchaus damit rechnen, dass er irgendwann in die Schule kommt. Irgendwie hatte ich den Gedanken trotzdem erfolgreich verdrängt. Ich erinnerte mich daran, wie lange ich – in der Schule und auch später in meinen Jobs – ein diffuses Gefühl hatte, dass mein Leben nicht mir gehört. Ich glaube, dieses Gefühl hatte ich das erste Mal, als ich im Unterricht saß.

Ich fragte mich: Wie kann ich Benjamin und Willem helfen, dass es ihnen nicht so geht? Ich fragte mich, was ich mir für die beiden wünschte. Und am Ende landete ich bei einer Frage, bei der es mich wunderte, dass ich sie mir bis dahin nie so konkret gestellt hatte: Was halte ich eigentlich für ein gutes Leben?

Und irgendwann später hat man Zeit, glücklich zu sein

Meine Eltern haben mir im Groben das hier vermittelt: Ein gutes Leben bedeutet vor allem Sicherheit. Und Sicherheit bedeutet Geld. Und Geld bedeutet, dass man in der Schule erfolgreich sein muss. Nicht aus Freude am Lernen, Denken und Wissen, sondern um ein Abschlusszeugnis zu erarbeiten, mit dem man dann einen Beruf ergattert, bei dem man nicht gefeuert wird und ein möglichst hohes Einkommen kriegt. Das Geld muss man dann sparen, um damit ein Haus anzuzahlen, um dann noch mehr und härter zu arbeiten, damit es möglichst schnell abbezahlt ist.

Und irgendwann später, wenn alles erarbeitet, erledigt und der Kredit für das Haus getilgt ist, hat man dann Zeit, um glücklich zu sein.

Ich weiß, dass ich meinen Eltern immer viele Sorgen gemacht habe. Die Probleme in der Schule, die beknackten Jobs. Der sehr gut bezahlte, sehr sichere Job, den ich gekündigt habe, weil ich ihn langweilig fand. Das Studium, das ich ohne Abschluss beendet habe, weil ich das für einen blödsinnigen bürokratischen Akt hielt.

Damals habe ich oft gedacht, dass eine falsche Entscheidung alles kaputtmachen kann. Mittlerweile habe ich so viele Entscheidungen getroffen, dass ich weiß: stimmt nicht. Entscheidungen sind gut. Sachen ausprobieren, Sachen nicht machen, auch wenn sie auf den ersten Blick vernünftig erscheinen, Fehler machen und aus ihnen lernen. Es hat ziemlich lang gedauert, bis ich so entspannt mit meinem Leben umgehen konnte. Für Willem und Benjamin wünsche ich mir, dass sie schneller an diesen Punkt kommen – und weniger Zeit ihres Lebens in Angst verbringen, nicht das Richtige zu tun. Und dann lieber gar nichts machen.

Lieber scheitern als nicht trauen

Was ich meinen Kindern mitgeben möchte, damit sie die Schule, die Arbeit, das Leben als etwas begreifen, das sie sich schnappen und gestalten können? Ich habe lange darüber nachgedacht und bin bei diesen Sätzen gelandet:

  • Dass Scheitern und draus lernen besser ist, als Sich-nicht-trauen.
  • Dass es auf lange Sicht schöner ist, freundlich und empathisch zu sein als erfolgreich.
  • Dass es Spaß macht, zuzuhören und viel nachzufragen. Denn wir lernen nie aus und kein Wissen ist endgültig oder komplett.
  • Dass man nicht immer nützlich sein muss.
  • Dass Schule, Arbeit, Leben kein Wettkampf sind, sondern ein Miteinander vieler unterschiedlicher Menschen.
  • Dass Unterschiede toll sind.
  • Dass das Leben ein spannendes Experiment ist und nicht der Stoff für einen Lebenslauf.
  • Dass das hier nur ein Serviervorschlag ist und jeder am Ende selbst herausfinden muss, was gut für ihn ist.

Klingt in der Theorie ganz okay, finde ich jetzt gerade. Bestimmt wäre es trotzdem schwierig für mich, zu verstehen, wenn einer der beiden beschließt, als mittelloser, Xavier-Naidoo-covernder Straßenmusiker durchs Land zu tingeln. Und bestimmt wäre ich ungeheuer stolz und zugleich krank vor Sorge, wenn einer von ihnen als Krankenpfleger in Kriegsgebiete fahren würde. Schauspieler? Puh. Makler oder Börsenspekulant? Die Hölle. Und wenn einer beschließt, einen möglichst sicheren Job zu haben, der möglichst viel Geld einbringt? Dann würde ich hoffen, dass er damit glücklich wird.

« Wir sind doch Wissenschaftler »

Benjamin ist immer besonders glücklich, wenn wir Quatsch ausprobieren.

« Papa, wenn wir alle Badefarbtabletten auf einmal in die Wanne tun, werden wir dann auch blau? »

« Wie schmeckt eigentlich Milch mit Karottensaft? »

« Können wir den riesigen Ast aus dem Wald nach Hause schleifen und ein Katapult daraus bauen? »

Ich glaube, er kennt meinen Blick schon. Den ersten Teil, wo ich « Unsinn » denke und einfach nein sagen will. Den zweiten, bei dem ich nachdenke und merke, dass es vielleicht ganz interessant ist und Spaß machen könnte. Den dritten, wo sich meine Miene aufhellt und ich sage:……

Aber da hat Benjamin meine Mimik meist schon lachend überholt. « Papa, du sagst doch immer, wir sind Wissenschaftler. »

« Stimmt », sage ich, « wir sind Wissenschaftler. » Und das Leben ist ein spannendes Experiment.

 

Zum Autor

Theodor Ziemßen,
Vater von Benjamin (5) und Willem (1)

Liebstes Kinderbuch: « Pu der Bär », das Original. Aber immer, wenn ich daraus vorlesen will, sagt Benjamin « Das andere ‘Pu der Bär' » – und holt ein hässliches Winnie-Puuh-Buch von Disney raus, das er mal von meiner Mutter bekommen hat.

Nervigstes Kinderspielzeug: Mein kaputter ferngesteuerter Hubschrauber. Weil ich versprochen habe, ihn wieder zum Laufen zu bringen.

Erziehungsstil: Immer versuchen, fair, freundlich und verlässlich zu sein – auch sich selbst gegenüber.

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