SPIEGEL: Frau Saujani, als Sie 33 Jahre alt waren, haben Sie von heute auf morgen Ihr komplettes Leben über den Haufen geworfen.
Reshma Saujani: Genau. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass meine Eltern als Einwanderer in die USA kamen. Sie wollten, dass es mir besser geht. Und ich war ein braves Mädchen, das selbstverständlich immer die richtigen Entscheidungen treffen und niemanden enttäuschen wollte. Ich wollte meine Eltern stolz machen. Und so fand ich mich eines Tages als erfolgreiche Anwältin in einer großen Kanzlei wieder.
SPIEGEL: Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt ein Gefühl dafür, wie das richtige Leben für Sie aussehen könnte?
Saujani: Ich hatte schon immer eine große Leidenschaft für Politik.
SPIEGEL: Was gab den Ausschlag für den Bruch in Ihrer Biografie?
Saujani: Ein Gespräch mit einer meiner besten Freundinnen. Dabei war es nicht so, als hätte sie irgendetwas wahnsinnig Tiefsinniges zu mir gesagt. Im Gegenteil. Sie sagte: Dann kündige doch einfach deinen Job, und mach das, was du schon immer machen wolltest! Aber manchmal muss man vielleicht die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt hören, und dann ist es so einfach. Ich habe also gekündigt und mich als Abgeordnete für den amerikanischen Kongress zur Wahl gestellt.
« Wir trauen uns nicht, Risiken einzugehen, weil wir glauben, dass ein Scheitern unerträglich wäre. »
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Saujani: Frauen erkranken zwei- bis dreimal so häufig an einer Depression wie Männer. Jede Frau, die ich kenne, ist erschöpft. Ein Grund dafür ist, dass ihnen so oft der Mut fehlt, Nein zu sagen. Das ist aber wichtig. Erst recht inmitten einer Pandemie. Nein, tut mir leid, ich kann diese Extra-Aufgabe nicht übernehmen. Nein, ich kann nicht mit deinem Hund spazieren gehen. Nein, das schaffe ich nicht. Nein, das möchte ich nicht.
SPIEGEL: Sie glauben, dass man Mut üben kann.
Saujani: Ja. Mut ist wie ein Muskel, den man trainieren kann.
SPIEGEL: Wie sieht dieses Training aus?
Saujani: Das Wichtigste ist: Man kann nicht mutig sein, solange man erschöpft ist. Selbstfürsorge ist deshalb entscheidend. Ob das nun Meditation ist oder Joggen. Aber damit meine ich nicht, dass Frauen jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen sollen, um auch noch Joggen zu gehen, bevor der restliche Tag beginnt. Sondern auch dann joggen zu gehen, wenn es für andere eben nicht geschickt ist. Wer niemals wirklich zur Ruhe kommt und seine Batterien auflädt, wird sich auch in wichtigen Konferenzen nicht zu Wort melden oder es niemals wagen, sich selbstständig zu machen.