Im Homeoffice und beim Homeschooling brechen alte Muster auf. Was bedeutet das für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Ein Gespräch mit Anja Knabenhans, Mitbesitzerin und Chief Content der Online-Plattform «Any Working Mom».
Ein Interview von Christine Bachmann für (und von) HR Today.
Vereinbarkeit ist das zentrale Thema von «Any Working Mom», Ihrer Plattform für Eltern und solche, die es werden möchten. Sie würden «zündholzköpflirot», wenn jemand behaupte, in der Schweiz sei man bei der Gleichstellung und der Vereinbarkeit recht weit. Hinken wir anderen Nationen hinterher?
Anja Knabenhans: Ziemlich. Am schwerwiegendsten finde ich die fehlende Elternzeit. Anfang Jahr haben wir in der Schweiz zwar einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Damit Eltern aber nicht von Anfang an in alte Rollenmuster verfallen, müssten Väter bei der Kinderbetreuung mehr einbezogen werden. Das bedeutet, in den ersten Lebensmonaten des Kindes mehr präsent zu sein. Gerade im ersten Lebensjahr verändert sich ständig etwas – von seinen Gewohnheiten über seine Bedürfnisse bis hin zu seinen Vorlieben.
Zeitlich flexibles Homeoffice würde sicher helfen. Väter könnten dadurch ihre Partnerinnen tagsüber unterstützen, Bindungsmuster zum Kind vertiefen, ihre eigene Rolle finden und nicht zuletzt zur Entlastung der Gesamtsituation beitragen. Das würde zudem Paarkonflikte minimieren. Nachholbedarf haben wir auch bei der bezahlbaren Kinderbetreuung, bei den Tagesstrukturen für Schulkinder in ländlichen Gebieten, Teilzeitmodellen ohne Stigmatisierung oder bei Job- und Topsharing-Angeboten.
Auf Ihrer Plattform ist zu lesen, dass ein «Mangel an familienfreundlichen» Unternehmen herrscht. Was heisst das?
Viele Unternehmen zeigen sich gegenüber Arbeitnehmenden mit Familien verbal aufgeschlossen und sehen einen Handlungsbedarf. Trotzdem existieren Strukturen, die nicht familienfreundlich sind. Beispielsweise werden Sitzungen zu Randzeiten abgehalten, wenn Mitarbeitende ihre Kinder aus den Kitas abholen müssen. Manchmal kennen Vorgesetzte auch die Rechte der Arbeitnehmenden nicht. Häufig müssen Mitarbeitende ihre Chefs darüber aufklären, dass sie frei nehmen dürfen, wenn ihr Kind krank ist, oder Stillpausen als bezahlte Arbeitszeit gelten.
Es zermürbt die Betroffenen, wenn sie sich ständig wehren müssen und sie Schuldgefühle haben. Unternehmen könnten mit wenigen Massnahmen viel familienfreundlicher werden. Das ist ihnen meist nicht bewusst. «Any Working Mom» möchte mit Beratungsdienstleistungen zu diesen Themen Hilfestellung leisten.
Warum tun wir uns in der Schweiz mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf so schwer?
Dafür gibt es vielschichtige Gründe. Einer davon: Es geht unserer Wirtschaft immer noch so gut, dass sie es sich leisten kann, auf hochqualifizierte Frauen zu verzichten. Deshalb wird wenig unternommen, wenn Arbeitnehmerinnen ihre Ambitionen aufgeben, Teilzeit arbeiten oder dem erlernten Beruf den Rücken kehren. Fakt ist zudem: Wo es wenig Vorbilder gibt, bewegt sich wenig.
Wie können Firmen die Vereinbarkeit verbessern?
Beispielsweise durch die Schulung von Vorgesetzten. Diese machen teilweise Aussagen, die Eltern vor den Kopf stossen oder entmutigen. Meist wissen sie einfach nicht, was sie damit verursachen, weil sie selber nicht in dieser Situation stecken.
Ein Best-Practice-Beispiel eines Arbeitgebenden?
Ein sehr gutes Beispiel liefern die SBB: Das Unternehmen schreibt viele Stellen absichtlich mit Teilzeitpensen aus und adressiert Frauen und Männer. Während der Bewerbungsgespräche betreuen Nannys die Kinder der potenziellen Mitarbeitenden. Zudem übernehmen die SBB für Mitarbeitende den Grossteil der Kosten für die Kinderbetreuung.
Welchen Einfluss hat das HR, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben?
Einen immensen. HR ist das Kompetenzzentrum für diese Fragen. Rückmeldungen aus unserer Community zeigen, dass Frauen mit Rückhalt von fortschrittlich denkenden HR-Fachkräften im Unternehmen viel bewegen. Ein Beispiel? Eine junge Mutter wollte ihre frühere Führungsposition wieder einnehmen. Ihr Vorgesetzter war dagegen, weil er sie «beschützen» wollte. Der HR-Verantwortliche vermittelte und machte dem Vorgesetzten klar, dass er die Arbeitnehmerin nicht bevormunden dürfe. Zusammen fanden die drei am Ende eine Lösung, mit der die Arbeitnehmerin in ihrer alten Funktion arbeiten konnte, gleichzeitig aber schnell Entlastung finden würde, falls sie unter Schlafmangel oder starker Erschöpfung litte.
Die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass alte Rollenbilder wieder aufkommen und Frauen für Homeschooling, die Hausarbeit und die Arbeit im Homeoffice zuständig sind. Wie erklären Sie sich das?
Wir laufen sozusagen in einem Notfallmodus, sind verunsichert, gestresst, fühlen uns hilflos. In solchen Momenten suchen wir Halt und rutschen unbewusst in Muster zurück, die wir aus unserer Kindheit kennen. Wir haben nicht mehr die Energie, zu hinterfragen, uns aufzulehnen oder miteinander Kämpfe auszufechten, weil uns der Alltag schon sehr viel Kraft raubt. Ich erlebe es aber so, dass diese alten Muster vor allem im ersten Lockdown galten. Als wir alle glaubten, es ginge nur kurz und der Spuk wäre im Sommer vorbei. Für viele Frauen war es da wohl einfacher, kurz auf die Zähne zu beissen und alles zu managen. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr ändert sich ihr Verhalten aber wieder.
Sie sind selbst eine «Working Mom». Wie gestaltet sich Ihr eigener Remote-Working-Alltag?
Werden meine zwei- und fünfjährigen Kinder extern betreut, arbeite ich 50 Prozent. Sind sie daheim, ist ein konzentriertes Arbeiten unmöglich. Glücklicherweise kann ich meine Aufträge weit vorausplanen und meine Zeit frei einteilen. Mit «Any Working Mom» sind wir zudem komplett zeit- und ortsunabhängig. Unser zehnköpfiges Team ist auf vier Zeitzonen verteilt Die Zusammenarbeit klappt dennoch hervorragend.
Was würde Ihren Arbeitsalltag noch verbessern?
Am schwierigsten sind unvorhergesehene Situationen. Beispielsweise, wenn die Kinder oder Betreuungspersonen erkranken. Dann bestehe ich auf eine gleichwertige Aufteilung der Betreuungsarbeit, weil ich selbständig bin und bei einem ausgefallenen Arbeitstag nichts verdiene. Mein Mann ist durch seinen Arbeitgeber dagegen abgesichert. Grundsätzlich fände ich ein Eltern-Netzwerk hilfreich, durch das man sich gegenseitig unterstützen und aushelfen kann. Ich möchte so etwas in unserem Wohnquartier aufbauen, das wird jedoch erst nach der Pandemie gelingen.
Was raten Sie Eltern zu Remote Work und zum Homeschooling?
Tauscht euch mit anderen Eltern aus. Manchmal erhaltet ihr gute Tipps, wie man herausfordernde Situationen meistert. Und: Schraubt eure Ansprüche herunter. Es geht nicht alles aufs Mal und Selbstausbeutung bringt nichts.
Wie kann HR Familien im Homeoffice unterstützen?
Mit einer Sammlung von Tipps oder durch Nachfragen und Ermutigung. Vor allem aber mit Ehrlichkeit und Kommunikation auf Augenhöhe. Für uns alle ist die Situation schwierig. Manchmal hilft es schon, das auch vom Gegenüber zu hören und sich selber dadurch nicht als Versager zu fühlen.
Anja Knabenhans ist Mitbesitzerin der Plattform «Any Working Mom» und für den Content verantwortlich. Sie ist zudem Mutter von zwei Jungs. Knabenhans arbeitete mehr als zehn Jahre bei der Neuen Zürcher Zeitung als Sportjournalistin, Kolumnistin, Kinderbuch-Rezensentin und Reiseberichterstatterin. Als Besitzerin der ding ding ding GmbH erstellt sie Konzepte und Texte für verschiedene Auftraggeber. anyworkingmom.com
Quelle: wir haben dieses Interview von Christine Bachmann auf der online Seite von HR Today gefunden.