Wie bringt man Kindern bei, nachhaltig zu kaufen und zu essen? Undogmatisch handeln und einfach ein Vorbild sein, sagt die Wissenschaftlerin Inka Bormann. Denn nicht zu vergessen: Die Hauptkonsumenten – das sind in erster Linie Erwachsene.
Ein Interview von « enorm »-Autorin Anja Dilk
Zur Person
Inka Bormann ist Professorin für Allgemeine Erziehungwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Frage: Frau Bormann, wie können Eltern ihre Kinder zu einem nachhaltigen Lebensstil erziehen?
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Antwort: Am wichtigsten ist: vorleben. Kinder sollten beobachten, dass es für ihre Eltern völlig normal ist, sich möglichst nachhaltig zu verhalten. Das Fahrrad nehmen statt das Auto, zur Biogurke greifen statt zur Billigvariante. Einfach tun, ohne erhobenen Zeigefinger und Ökotamtam. Dadurch werden die Eltern zu einem glaubhaften Vorbild.
Frage: Also an kleinen Dingen ansetzen.
Antwort: Ja, an der Lebenswelt der Kinder, die sie überblicken. Gemeinsam einkaufen gehen, die Heizung ein wenig runterdrehen, einen wärmeren Pullover anziehen. Vor allem bis zum Schuleintritt prägt das familiäre Umfeld.
Frage: Und in der Schule wird dann wichtig, was die Freunde haben: ein neues Smartphone, eine coole Jeans…
Antwort: Natürlich ist der Anschluss an Gleichaltrige sehr wichtig. Allerdings müssen Kinder deshalb nicht automatisch alles mitmachen. Eltern sollten sie gegen Gruppendruck stärken. Zum Beispiel, indem sie loben: Respekt, dass du kein neues Handy willst. Mit älteren Kindern können sie auch darüber sprechen, welche schädlichen Stoffe etwa darin verarbeitet sind. Nur sollten sie dabei nicht dogmatisch sein.
Frage: Das geht nach hinten los?
Antwort: Es kann Opposition provozieren. Schließlich dürfen wir nicht vergessen: So wichtig ihnen ein Smartphone oder Markenklamotten auch sein mögen – Kinder sind nicht die Riesenkonsumenten. Das sind wir Erwachsene. Wir entscheiden, wie die Familie sich fortbewegt, wohnt, lebt.
Frage: Verlangen wir Erwachsene zu viel von unseren Kindern?
Antwort: Ich denke schon. Wir dürfen ihnen nicht die Verantwortung für die Lösung struktureller Probleme aufbürden, die über Jahrhunderte entstanden sind. Der deutsche Erziehungswissenschaftler Gerhard de Haan hat beschrieben, wie sehr Bedrohungsszenarien Kinder und Jugendliche lähmen können. Die Welt ist schrecklich – was können wir schon tun? Deshalb rate ich Eltern: Zeigt eurem Nachwuchs, wo er aktiv werden kann. Sagt ihm, dass er gebraucht wird. Im Schulgarten mit anpacken, den Bienenstock des Nachbarn pflegen, es gibt so viele kleine Aktionen im Alltag.
Frage: Sollte man also lieber sparsam mit Erklärungen und Diskussionen sein?
Antwort: In der Tat überfordert es vor allem kleine Kinder schnell, wenn Eltern zu viel erklären. Flüchtlingsschicksale oder Klimadebatten sind viel zu weit weg, als dass sie sie begreifen könnten. Auch grundlegende Ernährungsentscheidungen gemeinsam auszudiskutieren, halte ich nicht für sinnvoll. Sollten wir Hühnchen essen, obwohl es dafür getötet werden muss? Oder lieber ein Brot? Zumindest kleine Kinder hinterfragen oft weniger, als wir Erwachsene annehmen.
Frage: Und wenn ein Kind von sich aus nachfragt?
Antwort: Dann müssen Mama und Papa erklären – entwicklungsgemäß. Ein Fünfjähriger versteht vielleicht noch nicht, dass die Eltern die Mango aus Chile auch im Ökoladen nicht kaufen wollen, weil der weltweite Handel das Klima belastet, ein Zehnjähriger durchaus. Ab etwa zehn, zwölf Jahren setzen sich Kinder zunehmend mit Werten auseinander und bilden sich ihre eigene Meinung. Dann kann man auch mal darüber diskutieren, wie privilegiert wir in Europa leben und dass dieser Lebensstil vielfach auf Kosten anderer geht.
Frage: Und gemeinsam abwägen?
Antwort: Wenn es sich anbietet. Zum Beispiel mit Hilfe einer Pro-und-Contra-Liste: Wollen wir versuchen, mal ohne Auto auszukommen? Sollen wir in den Ferien nach Thailand fahren oder doch lieber an die Ostsee?
Frage: Oft sind Eltern selbst im Zwiespalt.
Antwort: Das gehört auf den Tisch. Wichtig ist, bewusst zu entscheiden und die Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen. An Fernreisen etwa liegt meist vor allem den Eltern etwas, Kindern ist das gar nicht so wichtig. Vielleicht lässt sich gemeinsam eine Lösung finden. Etwa indem Mama und Papa als Kompensation für den CO2-Ausstoß in ein Wiederaufforstungsprojekt investieren. Also: gemeinsam anfangen, trotz aller Widersprüche. 100 Prozent nachhaltig ist nicht machbar.
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Anja Dilk ist seit mehr als zehn Jahren freie Journalistin u.a. für « enorm », « Süddeutsche Zeitung », « gdi-impuls », « Capital », « Computerwoche », « taz », « Geo Saison », « Eltern », « Erziehung und Wissenschaft ». Davor war sie Redakteurin, Ressortleiterin und Pauschalistin bei der « taz », « ZEIT » und « Net-« Business. Bis heute berichtet sie als Korrespondentin für das online-Magazin « changeX ». Anja Dilk hat Geschichte, Politik, Literaturwissenschaft in Bonn, Berlin und Aix-en-Provence studiert und wurde an der Deutschen Journalistenschule München ausgebildet. Sie lebt in Berlin
- Homepage: Mitte München
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Wir haben den Artikel auf spiegelonline gefunden, und spiegelonline hat ihn in der Druckausgabe 02/2015 des Magazins enorm gefunden.