« Kein sozialer Akt, sondern klug »

Nicole Schwab, Co-Gründerin der Stiftung Edge. © Tagesanzeiger

Wenn Frauen schlecht verhandeln, sollen Firmen von sich aus mehr Lohn anbieten, findet Nicole Schwab, Tochter des WEF-Gründers.

Das Interview von Claudia Blumer mit Nicole Schwab ist am 7. März 2018 auf der Website des Tagesanzeiger erschienen.

Ihre Organisation Edge (Economic Dividends for Gender Equality) zertifiziert Firmen für Anstrengungen bei der Geschlechtergleichstellung. Wie gut sind Schweizer Firmen darin?
Weltweit haben wir 111 Firmen zertifiziert, in der Schweiz sind es 7. Es gibt hier also Firmen, die aktiv sind. Speziell an der Schweiz ist, dass sie verglichen mit anderen OECD-Staaten in internationalen Rankings bezüglich Geschlechtergleichheit sehr schlecht abschneidet. Zum Beispiel im Glass-Ceiling-Index des «Economist», einer Rangliste der besten Länder für arbeitende Frauen, figuriert die Schweiz auf Platz 26 von 29. Der neuste Index wurde im Februar 2018 publiziert. Nach der Schweiz kommen nur noch die Türkei, Japan und Südkorea. An der Spitze ist Schweden.

Warum schneidet die Schweiz schlecht ab?
Väter und Mütter haben es in der Schweiz schwerer als in anderen OECD-Staaten, nach der Geburt eines Kindes die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz so anzupassen, dass sie sich gleichzeitig im Beruf und in der Familie engagieren können. Weiter ist die Kinderbetreuung in der Schweiz sehr teuer, sie kostet 46 Prozent des Medianlohns. Und es gibt keinen Vaterschaftsurlaub. Solche Faktoren führen dazu, dass der Anteil Teilzeit arbeitender Frauen in der Schweiz enorm hoch ist. Und wer Teilzeit arbeitet, macht langsamer Karriere oder gar nicht. Es ist ein Teufelskreis. Manche Unternehmen wollen ihn durchbrechen, indem sie genauer hinschauen.

Der am Mittwoch publizierte Schilling-Report besagt, dass der Frauenanteil in Geschäftsleitungen von 8 auf 7 Prozent gesunken ist. Was denken Sie, wenn Sie das lesen?
Dass man nicht aufhören darf mit den Anstrengungen. Man kann nicht nur ein Jahr lang aktiv sein und dann denken, dass die Sache von alleine läuft.

Warum dieser Backlash?
Ich würde es nicht Backlash nennen. Backlash würde bedeuten, dass man nicht mehr weiterkommt, weil sich die Männer bedroht fühlen. Es gab ja Fortschritte in den letzten Jahren, dann ist auch das Umgekehrte möglich. Ich habe mich gefragt, was der Grund ist, die Antwort kenne ich nicht, weil ich es nicht untersucht habe. Sicher gibt es genügend qualifizierte Frauen für die Geschäftsleitungsstufe. Es stellt sich die Frage, warum sie trotzdem nicht in diesen Gremien sind. Ob die Frauen zu langsam Karriere machen. Ich frage mich auch, weshalb 97 Prozent der neuen Geschäftsleiter intern rekrutiert werden, aber nur 22 Prozent der weiblichen neuen Geschäftsleitungsmitglieder.

Die Firmen, die das Edge-Zertifikat haben, sind sie wirklich besser als alle anderen? Jede Firma würde doch von sich sagen, dass sie Männer und Frauen gleichbehandelt.
Firmen, die sich messen lassen, engagieren sich bewusst und wollen Fortschritte machen. Sie haben verstanden, dass es strategisch wichtig ist, Männern und Frauen dieselben Chancen zu geben, um gegenüber Partnern, Kunden und potenziellen Mitarbeitern attraktiv zu sein. Interessant ist auch, wie die Kultur in einer Firma stärker sein kann als ihre Umgebung, wenn es um Gleichstellungsfragen geht. Ikea zum Beispiel, das den höchsten Edge-Level erreicht, hat eine andere Kultur, die nordische, in der die Geschlechtergleichstellung weit fortgeschritten ist. Ikea hatte diese Kultur schon und wollte sich zertifizieren lassen, um zu zeigen, dass das Unternehmen – trotz Firmenstandort in der Schweiz – fortschrittlich ist.

Die grosse Mehrheit der nicht zertifizierten Firmen benachteiligt Frauen?
So kann man das nicht sagen. Aber sie wissen nicht, wo sie stehen, wenn sie ihre Strukturen nicht analysieren. Es gibt Instrumente, mit denen man heute Lohngleichheit und Rekrutierungsprozesse einfach durchleuchten und so herausfinden kann, wie es um die Gleichberechtigung steht, wo die Schwächen sind.

Löhne sind oft Verhandlungssache. Und Frauen verhandeln schlechter als Männer. Was ist zu tun?
Die Lösung ist meistens vielschichtig. Frauen müssen lernen, besser zu verhandeln. Das Problem ist aber, dass es Frauen negativ ausgelegt wird, wenn sie selbstbewusst und fordernd auftreten. Die Arbeitgeber müssen darauf sensibilisiert sein, sich selber reflektieren. Und sie sollten Lohnunterschiede, die durch schlechteres Verhandeln entstehen, nicht akzeptieren.

Eine Firma sollte der Frau von sich aus mehr Lohn anbieten, wenn sie schlecht verhandelt?
Ja. Mir ist das einmal passiert, vor etwa zehn Jahren. Es war ein Temporärjob bei einer grossen Firma, nicht in der Schweiz. Es ist kein sozialer Akt, sondern ein unternehmerisch kluger Entscheid. Die Leute arbeiten besser und motivierter, wenn sie gegenüber den Kollegen gleichgestellt sind. Und es ist besser, mit motivierten, gut arbeitenden Kollegen zusammenzuarbeiten. Es profitieren alle.

Der Bundesrat will grosse Firmen verpflichten, alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse zu machen. Der Ständerat hat dies letzte Woche abgelehnt beziehungsweise aufgeschoben. Was halten Sie davon?
Diese Massnahme geht in die richtige Richtung, und sie wäre sehr wichtig. Denn Analyse und Transparenz ist der beste Weg, um vorwärtszukommen. Gerade Firmen, die sich selber als fortschrittlich bezeichnen, würden sehen, wo es bei ihnen noch Unterschiede gibt, was sie besser machen können. Wenn man nicht hinschaut, kann man es auch nicht wissen. Manche Firmen machen es aus eigenem Antrieb.

Genau das sagten die Kritiker im Parlament, als Argument gegen das Gesetz.
Es gibt diesen Gender-Bias, den Forscher mehrfach nachgewiesen haben. Ein Beispiel: In den USA gab es lange Zeit weniger als 10 Prozent Frauen in den Orchestern. Die Rekrutierungsverantwortlichen haben betont, dass sie Frauen und Männer stets gleichbehandeln – weil sie nur an der Qualität der Musik interessiert seien. Trotzdem hat man das Probespiel dann anonymisiert, indem die Musiker hinter einem schwarzen Vorhang spielten. Daraufhin ist der Anteil der Frauen auf 40 Prozent gestiegen. Die unterschiedliche Beurteilung von Frauen und Männern geschieht nicht bewusst. Es ist schwierig, diese Stereotypen abzulegen. Niemand kann sich diesen Stereotypen erwehren. Deshalb ist es einfacher, Regeln einzuführen – wie den schwarze Vorhang –, die das Verhalten ändern, als zu warten, bis sich die Stereotypen ändern. Sie ändern sich sehr langsam oder vielleicht gar nie, weil sie sich immer wieder bestätigen.

Sie engagieren sich mit einer privaten Organisation für Geschlechtergleichheit. Soll man auf private Initiative setzen oder auf gesetzliche Regeln?
Es braucht beides. Bei den politischen Massnahmen kommt es sehr auf die Ausgestaltung an, die Massnahmen sollten nicht zu extrem sein. Was der Bundesrat vorschlägt, halte ich für richtig. Auch Quoten befürworte ich, obwohl sie eine schlechte Notwendigkeit sind, wie man auf Französisch sagt. Man wartet sonst enorm lange, bis sich der Frauenanteil in Führungsgremien erhöht.

In der Aktienrechtsrevision sind Quoten von 20 Prozent für Geschäftsleitungen und 30 Prozent für Verwaltungsräte vorgeschlagen. Lohnt sich das überhaupt?
20 Prozent sind schon sehr wenig, weil es oft eine Drittelmehrheit braucht, um Gewicht zu haben. Allerdings ist es für Geschäftsleitungen viel schwieriger, eine Quote zu erfüllen. Denn der Mangel an motivierten, qualifizierten Frauen auf Direktionsstufe ist ja Teil eines vielschichtigen Problems. Eine Quote wird dieses Problem wahrscheinlich nicht lösen.

Worauf schaut Edge, wenn Firmen bewertet werden?
Wir messen fünf Aspekte: Löhne, Beförderungen, Rekrutierung, Teilzeitarbeit und die Kultur der Organisation. Zum Beispiel schauen wir, ob jemand auch dann noch befördert wird, wenn er 80 Prozent arbeitet. Man weiss, dass nicht nur Frauen, sondern auch immer mehr junge Männer Teilzeit arbeiten wollen. Sie möchten aber bei der Karriere nicht benachteiligt sein. Deshalb stellt sich die Frage: Wie können Firmen, vor allem grosse, welche die Ressourcen haben, diese Gleichstellungskultur entwickeln?

Was sind die häufigsten Fehler, die Firmen machen?
Wenn Leute, die Personal rekrutieren, sich der Stereotypen nicht bewusst sind. Wenn Firmen keine Prozesse haben, die sicherstellen, dass Unterschiede bemerkt werden. Man braucht heute nur noch den Knopf zu drücken, schon sieht man: Wie viele Frauen wurden in den letzten drei Jahren eingestellt oder befördert? Und wie viele Männer? Wenn man will, erkennt man ein Ungleichgewicht schnell. Viele Fehler passieren bei der Rekrutierung selber. Es gibt gewisse Adjektive, von denen man weiss, dass sie in einer Stellenausschreibung gezielt Männer oder Frauen ansprechen. Das haben Studien in den USA gezeigt. Auf «caring» reagieren Frauen. Auf «competitive» Männer. Man sollte auf die Sprache achten, wenn man möglichst viele gute Bewerbungen will. Bei den Vorstellungsgesprächen ist erwiesen, dass es der Chancengleichheit dient, wenn ein gemischtes Team oder ein Mann und eine Frau die Bewerbungsgespräche führen.

(Tages-Anzeiger)

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