Echt jetzt! Nils Pickert, Journalist, Blogger und Vater von vier Kindern, plädiert bei wireltern.ch dafür, pinkfixierte Jungen endlich in Ruhe zu lassen.
«Das willst du nicht wirklich, oder? Das ist doch was für Mädchen!» Doch, liebe Drogeriemarktverkäuferin, das will er wirklich. Mein Fünfjähriger hat sich pinke Haarspangen ausgesucht, weil seine dreijährige Schwester auch welche wollte und sie gerade immer alles zusammen machen und haben wollen müssen.
Ausserdem ist pink super. Und Glitzer sowieso. Mein Fünfjähriger will auch den ganzen Tag lang «Paw Patrol» gucken, findet Furzgeräusche lustig und erlaubt mir Scherze über alles, nur nicht über Käse. Er liebt Schmuck und Matschepampe.
Er ist so hart, dass er mit drei Jahren eine mehrtägige Hüttenwanderung ohne Murren und mit viel Spass absolviert hat, und so weich, dass er jedes Mal, wenn wir mit dem Rad oder mit dem Auto an einem Gewässer entlang fahren, Sorge hat, wir könnten reinfallen. Er ist eine kleine Elfe im Körper eines fünf Jahre alten Riesen. Er ist das, was ich einen Prinzessinnenjungen nenne.
Nun könnte man ja wirklich auf den Gedanken kommen, ich züchte die irgendwie. Mein Grosser war in dem Alter so rock- und kleidbegeistert, dass ich mir irgendwann aus Solidarität auch einen Rock angezogen und angefangen habe, Leute mit abschätzigen Kommentaren in Grund und Boden zu reden und zu schreiben. Das tue ich immer noch. Ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben.
Weil ich es einfach satt habe, wie mit Jungen dieser Tage umgegangen wird. Von allen Seiten hört man, Jungen könnten heute nicht mehr sie selbst sein, weil sie in Kita und Schule nur noch mit Frauen konfrontiert wären, die von ihnen verlangen würden, sich «wie Mädchen» zu verhalten. Sie hätten nicht mehr den Raum, um ihre Kraft zu erproben, sich zu messen und ihre Männlichkeit zu erfahren. Und weil ich mir derlei Dinge nun schon seit Jahren anhören muss, will ich mich so unmissverständlich wie möglich ausdrücken: Die Vorstellung, dass Jungen von Natur aus nur hart und wettkampfbetont sind und folglich zwangsläufig unter einer Gesellschaft leiden müssen, die mittlerweile gesteigerten Wert auf Kommunikationsfähigkeit, Problembewusstsein, Selbstwahrnehmung und Fehlerkultur legt, steht in meiner «Was ist das nur für ein räudiger Scheissdreck!»-Liste ganz weit oben.
Ja, es stimmt, dass in Schulen viel zu oft auf Frontalunterricht gesetzt wird und bei dem ganzen Notenstress Bewegung und Kreativität zu kurz kommen. Das Problem hat allerdings kein Geschlecht. Mädchen finden es auch nicht unbedingt super, in Rekordzeit und mit jeder Menge Hausaufgaben zum Schulabschluss gejagt zu werden. Nur hilft ihnen dabei ihr angeblich angeborenes «Bravsein», das wir in Wahrheit einfach so konsequent mit Weiblichkeit assoziiert haben, bis auch das letzte Mädchen weiss, was von ihm erwartet wird.
Von Jungen hingegen verlangen wir, die Zähne zusammenzubeissen, kein «weibisches Verhalten» an den Tag zu legen und sich durchzusetzen. Kleine Träumer, die Trost brauchen, sind mit vier Jahren vielleicht noch ganz niedlich, aber spätestens mit zehn muss das vorbei sein. Ich bin das alles sehr, sehr leid. Tatsächlich konnten Jungen nämlich noch nie sie selbst sein. Sie waren immer schon zärtlich, weich, verunsichert, nähebedürftig und schwach. Das ist männlich, weil menschlich.
Und genau diese Eigenschaften werden immer wieder als unmännlich markiert: Sei kein Mädchen! Jetzt hab dich nicht so! Reiss dich zusammen. Wäre die Jugend ein Entwicklungsroman, hiesse die von Jungen: Wie man so lange auf cool tut, bis man dabei erfriert. Jungen sind, wie die vielen Mahnerinnen und Mahner in den letzten Jahren immer wieder betont haben, in der Tat das schwache Geschlecht. Aber nicht, weil sie plötzlich nicht mehr sein dürfen, wie sie sind. Sondern weil sie noch nie sein durften, wie sie auch schon immer waren. Weil wir ihnen keine Schwäche zugestehen und sie nicht lernen, mit Schwäche umzugehen.