Wir brauchen strengere Handyregeln

Fast jeder hat heute ein Smartphone. Kinder brauchen dringend gute Vorbilder für den Umgang mit den Geräten. Nur wen? Wir Erwachsenen kriegen es ja selbst kaum hin.

Ein Beitrag von Theodor Ziemssen auf der Spiegel Online Elterncouch.

Die Tür ging auf, und die Kinder kamen hereingewuselt. Sie trugen Kittel und schwarze Schminketupfer im Gesicht. Aus rot angemalten Papptellern hatten sie Feuerwehrhelme gebastelt. Es war das große Finale des Feuerwehrprojekts in Benjamins Kita.

Die Kinder stellten sich nervös trippelnd im Halbkreis auf und begannen ein Loblied auf die Feuerwehr zu singen. Naja, singen. Eigentlich war es ein verschüchterter Flüsterchor, bei dem man fast nur die Erzieherinnen hörte. Es war toll.

Ich war tief berührt von der niedlichen Verdruckstheit der Kleinen auf der Bühne. Meine Frau Therese musste arbeiten und konnte nicht dabei sein. Trotzdem wollte ich diesen Auftritt unbedingt mit ihr teilen. Reflexhaft zückte ich mein Smartphone, um ein Video zu machen, drehte ich mich dabei kurz zu den anderen Eltern um – und erschrak.

Rund 20 Leute waren da. Und fast alle filmten die Darbietung mit ihren Telefonen. 20 Erwachsene, die sich entschieden hatten, in diesem Moment ein Gerät zwischen sich und ihre Kinder zu halten. Es war eine Szene wie aus einem düsteren Science-Fiction-Film. Was die Kinder wohl gerade sahen? Elternkörper mit Plastikrechtecken statt Köpfen? Schnell steckte ich mein Telefon wieder weg.

Momente gemeinsam erleben – statt sie zu dokumentieren

Als ich Benjamin später auf die Filmerei ansprach, wusste er gar nicht, was ich meine. Und irgendwie erschreckte mich das noch mehr. Ich dachte an all die Momente, in denen ich verzückt das Telefon zwischen mich und die Kinder gehalten hatte, statt mit ihnen zu spielen, zu toben, zu lachen, sie durchzukitzeln. Wie viele Momente hatte ich dokumentiert, anstatt sie gemeinsam mit ihnen zu erleben?

Bis zu diesem Nachmittag im Kindergarten dachte ich, dass Therese und ich das mit den Telefonen und den Kindern ganz gut hinkriegen. Ab und an Smileys an die Oma zu verschicken oder ein paar Fotos anzusehen, ist okay. Abends vor dem Einschlafen darf Benjamin noch ein Hörspiel auf meinem Telefon hören und selbst dorthin navigieren. Und seit er gefragt hat, ob er ein Handyspiel spielen darf, haben wir einfach alle Spiele auf unseren Telefonen gelöscht und können ohne Schummeln sagen: Haben wir nicht.

Eine echte Bereicherung ist das mobile Internet: Seit Benjamin angefangen hat, Fragen zu stellen, recherchieren wir gemeinsam auf dem Telefon. Und es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, Sachen nicht zu wissen. Manchmal langweilt ihn, was wir herausfinden, manchmal frustriert es uns beide, dass die Antworten so irre kompliziert sind – und manchmal ruft er vor Erstaunen « WAAAAASS?! » und muss erst mal ein paar Minuten auf dem Sofa hüpfen, um das neue Wissen angemessen durchzuschütteln.

« Eben kurz » E-Mails checken, SMS beantworten und und und

Der Smartphone-Irrsinn beim Feuerwehrauftritt hat mich trotzdem erschreckt. Deshalb habe ich angefangen, genauer zu beobachten, wann ich selbst das Telefon zücke, während ich mit den Kindern zusammen bin.

Um Fotos und Videos zu machen. Klar. Aber auch fast immer, wenn das Telefon klingelt. Also bei Anrufen, wenn E-Mails oder SMS eintreffen und wenn mein Kalender mich an einen Termin erinnert. Die wenigsten Nachrichten sind so dringend, dass es gerechtfertigt ist, deswegen plötzlich eine anwesende Person zu ignorieren. Aber oft bin ich ein unhöflicher Smartphone-Nutzer. Wenn ich mit Kollegen oder Freunden zusammen bin, zücke ich manchmal mitten im Gespräch das Handy – nur weil es gesummt hat. Es passiert nicht selten, dass ich SMS und E-Mails nicht nur lese, sondern auch noch « eben kurz » beantworte. Und wenn ich mich mal wieder besonders schlapp fühle, erwische ich mich manchmal dabei, wie ich lustlos und selbstvergessen durch meine Facebook-Timeline scrolle. Puh.

Kein Wunder, dass es für Benjamin und sogar den eineinhalbjährigen Willem derzeit ein Sport ist, zu versuchen, sich Mamas oder Papas Telefon zu schnappen und darauf herumzuwischen. Sie sind einfach auf eine genauso unreflektierte Weise von den Dingern fasziniert wie ihre großen Vorbilder.

78 Prozent der Deutschen nutzen Smartphones

Wir brauchen also dringend strengere Handy-Regeln. Für uns selbst.

Aber wie soll ich Benjamin und Willem einen sinnvollen Umgang mit einem Smartphone vermitteln, wenn ich es selbst nicht hinkriege? Es kommt vor, dass ich das Lesen eines Buches oder einer Zeitschrift mitten im Satz unterbreche, nur um zu gucken, ob neue E-Mails angekommen sind oder es irgendwelche Updates gibt. Und neulich habe ich mir zu Hause einen Film angesehen – und währenddessen im Internet nach dem perfekten Handmixer gesucht.

Das soll keine Ausrede sein, aber es ist kein Wunder, dass der Umgang mit dem Smartphone nicht leichtfällt. Erst 2007 ist das erste iPhone auf den Markt gekommen. Damals war es noch ein Statussymbol für Manager und Technikfreaks. Zehn Jahre später benutzten laut einer Studie des Branchenverbandes Bitkom 78 Prozent der Deutschen über 14 Jahre ein Smartphone.

Unsere Kinder gehören also zu den ersten, die in einer Welt aufwachsen, in der Smartphones einfach überall sind. Und noch viel wichtiger: Wir gehören zu den ersten Eltern, die unseren Kindern ein Vorbild sind, was den Umgang mit diesen verführerischen Alleskönnern angeht.

Zwei einfache Regeln

Ich will versuchen, ein besseres Vorbild zu werden. Damit es nicht zu kompliziert wird, habe ich mit zwei einfachen Regeln angefangen:

  • Wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin, braucht es immer einen guten Grund, das Smartphone hervorzuholen – nur « weil es klingelt oder brummt » gilt nicht.
  • Wenn ich gerade mit etwas beschäftigt bin – sei es Kochen, Lesen, Basteln, Lego spielen, einen Film ansehen, diesen Text schreiben -, bleibt das Telefon liegen.

Während ich die letzten Absätze dieses Textes geschrieben habe, habe ich übrigens dreimal auf mein Telefon zu geguckt. Aaaaaber: Ich habe mich mindestens genauso oft dagegen entschieden. Keine schlechte Quote für einen blutigen Anfänger.

 

Zum Autor: Theordor Ziemssen ist Vater von Benjamin und Willem, und legt sich regelmässig für Spiegel Online auf die Elterncouch.

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